"Leben erleben, mit dir, den anderen, und mir"

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Veröffentlicht: 14 Jahren her

Autogenes Training

Ich hätte nie gedacht, dass das Staubsaugen in einem Auto ein derart autogener Akt ist, wie ich es heute erlebt habe.

Zunächst einmal – und das werden viele unter uns nachvollziehen können – ist das Staubsaugen im Auto nichts Besonderes; vor allem aber in erster Linie etwas ausgesprochen Lästiges: Völlig ohne Not staubt das Auto nach und nach – gerade jetzt im Pollenflug-Woodstock – ein. Irgendwann kommt man einfach nicht mehr darum herum und muss den Staubsaugerrüssel eine Weile hinein halten, ob man nun will oder nicht.

Und damit beginnt ein Prozess der Selbstbesinnung und Reflexion: Was ist es, dass mich einen sonnigen Nachmittag opfern lässt, an dem ich vieles anderes hätte machen können, um statt dessen kopfüber schwitzend im Auto verbringen läßt? Es muss – so denke ich – eine höhere Kraft sein, ein Wunsch nach unbedingter Ordnung, oder vielleicht das Gefühl, dass das sauber gesaugte Auto einem neuen Wagen ähnelt? Ich weiß nicht, welche Faszination von einem neuen Auto ausgeht, außer, dass es neu ist, aber es scheint etwas daran zu sein. Sonst würde man sein Auto ja auch nicht waschen. Es fährt schließlich schmutzig so gut wie sauber.

Auch über die Arbeitsweise, die Reihenfolge der Prozesse des Saugens kann man sich viele, wichtige Gedanken machen: Erst oben saugen, dann unten? Erst die Ecken, dann die Flächen? Die verschiedenen Staubsaugervorsätze – Bürste, Schmalrohr und Flächensauger potenzieren die Möglichkeiten. Es bleibt latent die Furcht, gerade jetzt nicht optimal zu saugen.

Ganz problematisch ist auch die Abwägung, was der persönlichen Zufriedenheit schließlich zuträglicher ist: Das einfache Beseitigen des Schmutzes – ich erkenne das „Vorher“ und das „Nachher“ oder nur der Genuß, in einem sauberen Fahrzeug zu sitzen – ich genieße das „Nachher“? Dieser Sachverhalt wird noch einmal wesentlich komplexer, wenn man künftig möglicherweise Mitfahrer hat, die sich bei der Mitfahrt nur an einem an sich gepflegten Fahrzeug erfreuen können, ohne zu wissen, dass es kurz zuvor ein rollenden „Sodom und Gommora“ war.

Nicht zuletzt macht die Herkunft der zu beseitigenden Partikel zu schaffen. Während das Auge einem Schiedsrichter mit Geheimdienst-Erfahrung gleich den Feind unter dem Sitz sucht, gleicht das geschulte Hirn sogleich ab, um was es – das zu saugende Gut – es sich handelt, entscheidet routiniert in „saugfähig“, „nicht saugfähig“ und „das habe ich schon lange gesucht“.

Nach und nach – und das werdet ihr sicher erkennen – wird wichtig, was über Wochen hinweg unwichtig erschien. Und umgekehrt. Und genau hier liegt eine große therapeutisch Chance für alle Gehetzten unter uns: Saugt Euer Auto und macht es Euch nicht leicht dabei. Holt das Letzte heraus, aus Euch und dem Auto. Ihr werdet „autogenes Training“ völlig neun erleben…

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