"Leben erleben, mit dir, den anderen, und mir"

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Veröffentlicht: 10 Jahren her

Golfgeschichten

Was ist aus Dir geworden?

Noch heute Morgen hatte ich gedacht, dass ich unbedingt noch einmal Golf fahren müsse. Weil Golf fahren, das muss man zwischen durch immer mal wieder. Das ist so ein wenig, als ob man dem automobilen Zeitgeist den Finger an den Puls legt. Und hinterher weiß man wieder, was der deutsche Durchschnitts-Michel begehrt.

Den letzten Golf, einen Mietwagen, hatte ich vor gut zwei Jahren ein paar Tage in Österreich gefahren und war sehr angetan. Ich sagte damals: „Mehr Auto braucht kein Mensch“ und das klingt dann in etwa so, als ob man sagen würde, dass 38,5 °C noch kein Fieber seien oder fünf Richtige keinen richtigen Lottogewinn einbrächten. Alles Blödsinn: Ein Golf ist ein gutes Auto. Ganz gleich, ob man den nun  mag, oder eben nicht. Und während der Tour durch Graz und die umgebende Steiermark dachte ich eben, dass man mehr Auto nicht braucht und dass man zur Lage der Nation immer mal wieder Golf fahren sollte. Da ich heute wieder eine Reise mit einem Mietwagen anzutreten hatte, hoffte ich also auf einen Golf, einen ganz normalen. Und es war ein Golf und zwar ein ganz normaler. Jedenfalls habe ich das gedacht…

Zunächst verlief unsere Reise wie erwartet: In meinem Golf war alles da, wo ich es erwartete, wir kamen spontan gut miteinander aus. Chronisch untermotorisiert präsentierte er sich allerdings, immer dann, wenn die „DPD-und-Co.“-Sprinter formatfüllend im Rückspiegel auftauchten und mich von der Überholspur spurteten. Meist konnte ich sie bergab erst wieder überholen. Verkehrte Welt. Überraschend potent erwies sich indes die Unterhaltungselektronik, die mich sogar Musik per Bluetooth auf die propper klingenden Lautsprecher streamen ließ. Das hätte ich in dieser satten Qualität nicht erwartet.

Erst als der Wagen nach knapp 500 km einvernehmlicher Fahrt und kurz vor dem Ziel begann mich zu bevormunden, wurde ich stutzig: Im Display stand plötzlich „Müdigkeit erkannt – bitte Pause“ und ich stutzte. Dass Fahrzeuge nach einer gewissen Fahrtdauer den Lenker animieren eine Pause zu machen, das kannte ich. Dass aber das Gefährt behauptete, Müdigkeit erkannt zu haben, ängstigte mich ein wenig. „Big Brother is watching you“ schoss es mir in den Kopf und ich ging eiligst meine Verfehlungen der letzten Stunden durch: Ob er auch gemerkt hatte, dass ich länger links gefahren war, als unbedingt nötig? Oder dass ich die Musik so laut hatte, dass die Fahrer der mich überholenden Wagen verständnislos herüber geschaut hatten? (Wie gesagt: Es klang gut!) Oder hat er womöglich aufgezeichnet, dass ich drei von daheim mitgebrachte Brote aß, weil ich außer Snickers an Autobahn-Raststätten nichts mag…? Ich war verunsichert.

Was war bloß aus dem treuen Golf geworden, der mich so oft durch die Lande begleitete? Warum hatte er die Seiten gewechselt? Hatte er vielleicht sogar eine Online-Verbindung zur NSA und dort notierte man flugs: „3 Brote (Salami, Käse, Fleischwurst)“? Das Vertrauen war dahin.

Jetzt schaue ich hinunter auf den Parkplatz hinter dem Hotel. Da steht er im Licht der Laterne und tut so, als wäre nichts passiert. Aber ich habe Dich durchschaut, Du des Deutschen vermeintlicher Liebling: Du bist ein Golf im Schafspelz und ich muss die Menschheit vor Dir warnen.

Das mache ich gleich morgen. Jetzt, um ehrlich zu sein, habe ich bei mir eine Müdigkeit erkannt und muss erst einmal eine Pause machen…

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