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Veröffentlicht: 10 Jahren her

Das erste Mal

Am Tisch der eisigen Väter

„Irgendwann ist bei allem immer irgendwann einmal das erste Mal. Immer und überall!“ Das erklärte mir ein Freund kürzlich und tat dabei so wichtig, dass ich beschloss ihn ernst zu nehmen. Seine Aussage begleitete mich einige Zeit und ich begann darüber nachzudenken. Dabei stellte ich fest, dass er nicht nur in der Theorie recht hat, sondern auch in der Praxis.

Denn irgendwann machen wir Menschen irgend etwas zu ersten Mal. Das Problem ist jedoch, dass wir die meisten Dinge, die wir erstmalig taten, gar nicht so wahrgenommen haben: Das Atmen, das Laufen, das Sprechen – all‘ diese Dinge sind wir nicht bewusst angegangen, sondern instinktiv. An unsere erste Fahrradfahrt ohne Stützräder, an die erste „5“ in der Mathematik-Arbeit oder an  den ersten Kuss erinnern wir uns dann eher. Und ich erinnere mich ganz lebhaft an das Gefühl, das ich empfand, als mein Vater das Rad losließ und ich mich ohne stützende Fahrhilfen von ihm entfernte, wie ein verloren gegangener Satellit von seiner Laufbahn: Es herrschte statt Freude über das „erste Mal“ Panik pur. Das war bei der Klassenarbeit und dem Kuss im übrigen genau so.

Kürzlich besuchte uns der Freund meiner Tochter – auch erstmalig. Auf diesen Besuch habe ich als Vater einige Zeit warten müssen, was allerdings – und das sei zu seiner Ehrenrettung erwähnt – am Umstand unserer Patchworkfamilien-Struktur liegen muss, denn im Haus seiner „Schwiegermutter in Spe“ ging er bereits geraume Zeit ein uns aus. Und auch wir kannten uns von verschiedenen Treffen ganz gut. Allerdings hatte er uns noch nie daheim besucht. Für den jungen Verehrer meiner Tochter muss der bevorstehende Termin – trotz allem – eine schwer auf ihm liegende Last dargestellt haben, was mich allerdings eher amüsierte, als sorgte. Zu oft habe ich in ähnlichen Antrittsbesuchen bei Eltern von Freundinnen nicht minder gelitten, als mich deren meist katholische Väter an schwülen Sonntag-Nachmittagen an bürgerlichst gedeckten Kaffeetafeln mit ihren starren Blicken grillten. Es war meist furchtbar. Nein, eigentlich immer.

Keineswegs wollte ich dem Freund meiner Tochter einen ähnlichen Empfang bieten und hatte mir daher vorgenommen die Sache betont locker anzugehen. Und doch konnte ich seiner Nervosität nicht wirklich entgegen wirken. Irgendwie stand er sich selbst ein wenig im Weg. Also beschloss ich die Szenerie zu genießen, so wie es wahrscheinlich einst die Väter meiner Verflossenen taten, ohne ihn jedoch wirklich zu grillen. Er meisterte den Abend und das gemeinsame Essen äußerst liebenswert, trug mit der ein oder anderen Panne zu einem rundum gelungenen Abend bei und überlebte „das erste Mal“ halbwegs unbeschadet. Ob er ähnliche Panik-Attacken erlitt, wie ich einst, bleibt sein Geheimnis und das ist gut so.

Ich hingegen beginne Gefallen zu finden, am „ersten Mal“. Es ist mitunter doch ganz schön spannend, was um uns herum so passiert. Es muss ja nicht immer im „Panik-Großalarm“ enden. Aber so ein wenig Schadenfreude – dann und wann – schadet nicht, insbesondere, wenn man Ähnliches zuvor selbst überstand. Denn dann, dann heilen selbst die Wunden, die man einst erlitt, am Tisch der eisigen Väter…

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